Warum ich mich dem Thema Business Agilität zuwende
Meine erste Begegnung mit agilen Methoden
Ich habe mich ziemlich früh mit agilen Methoden beschäftigt. Damals wurden viele IT-Projekte nach umfassenden Prozessen entwickelt, Beispiele dafür waren das V-Modell oder der Rational Unified Process1. Es ist eine alte Zeit, mitten in der Softwarekrise, in der ca. 70 % - 80 % der IT-Projekte aus Sicht von Umfang, Qualität und Budget scheiterten. Es war aber auch eine Zeit, in der ein ganzes Feuerwerk an neuen leichtgewichtigen Prozessen geboren wurde, wie Feature Driven Development, Extreme Programming und natürlich auch das heute sehr populäre Scrum. Und es war die Stunde Null der agilen Methoden. Kurz danach fassten diese kreativen Schöpfer ihre Ideen zusammen und das Agile Manifest2 war geboren. Wir schrieben das Jahr 2001.
Embrace Change!
Damals übernahm ich ein hoffnungslos in Verzug geratenes IT-Projekt. Das IT-Projekt stellte die vollständige Neuentwicklung einer komplexen Fachanwendung für den öffentlichen Sektor dar. Ich erinnere mich, wie ich vor Antritt der neuen Aufgabe an einem Urlaubsort am Rhein saß. Es war schönes Wetter und ich saß in einem Garten und las das Buch von Kent Beck, Extreme Programming explained - Embrace Change 1. In seinem Buch schilderte Kent Beck eine völlig neue Sichtweise auf Projekte. Veränderung ist etwas Gutes, Planungsanpassung ist sinnvoll, der Projektleiter reagiert auf Veränderungen, wie jeder Autofahrer bei Stau eine Umgehung fährt. So einfach, so simpel und dennoch erforderte das neue Denken auch sehr viel Mut! Umsteuern ist leichter gesagt als getan! Aber für mich war die Lektüre befreiend und sozusagen meine Stunde Null für agile Methoden.
Im Fahrtwind des Fortschritts
Ich probierte mit meinem Team das von Beck beschriebene Extreme Programming (XP) aus. Inkrement für Inkrement, Schritt für Schritt, erzielten wir immer deutlichere Fortschritte. Das verloren geglaubte Projekt nahm wieder Fahrt auf. Und ich spüre noch heute, was für ein schönes Gefühl es war, als endlich wieder Fahrtwind spürten. So fühlt sich Fortschritt an. Tag für Tag gab es eine neue Version, die von einer kleinen akustischen Fanfare angekündigt wurde. Falls doch mal etwas nicht funktionierte, ertönte ein Schiffshorn und das Team korrigierte das Problem.
Was ich damals nicht wusste war, dass eine wesentliche Voraussetzung für unseren Erfolg gar nicht so sehr von dem agilen Prozess ausging. Es waren eben nicht allein die bunten User-Stories, das Sprint-Planning und die kontinuierlichen Lieferungen, die uns Erfolg und Freude ermöglichten. Es gab eine verborgene Wahrheit, die bedeutsamer war! Diese Wahrheit ist das Fundament jeder erfolgreichen Veränderung!
Das Fundament der Motivation …
Die Wahrheit ist, dass während ich mich mit meinem Team in die Untiefen einer komplexen Software-Anwendung vergrub, mein ehemaliger Chef und Geschäftsführer uns einfach machen ließ. Wir hatten ein gemeinsames Ziel und er schenkte mir mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten, als ich sie selbst hatte. Wir konnten als kleines Team völlig störungsfrei arbeiten, wir hatten ein eigenes Budget und holten uns die dringend erforderlichen Fachkompetenzen an Bord.
… ist Vertrauen!
Dazu ein weiteres Beispiel: Einer der Grundwerte der agilen Entwicklung basiert auf der engen Zusammenarbeit mit Kunden. Diesen mutigen Kunden fanden wir schließlich in der zweitgrößten Stadt in Bayern. Durch diesen Kunden gewann unser Produkt an Tiefe, Kontur und bedeutsamen Mehrwerten. Andererseits erwiesen sich viele Funktionen, die uns zuvor als wichtig erschienen, zunehmend als bedeutungslos.
Der erste Test beim Kunden war ein Desaster! Doch der Kunde schenkte uns Vertrauen und blieb standhaft. Der zweite Test vor Ort wurde schlussendlich ein Erfolg. Das hässliche Entlein verwandelte sich mehr und mehr in einen Schwan. Oder mit anderen Worten, aus einem hoffnungslos verzögerten Projekt wurde ein marktfähiges Produkt. Und aus dem Vertrauen, den klaren Freiräumen und dem sinnstiftenden Ziel, entwickelte sich eine unglaubliche Motivation! Eine Motivation, die kein Incentive der Welt jemals so generieren könnte.
Meine drei Gründe für Business-Agilität!
Zurück ins Heute, ins hier und jetzt! Warum ist Business-Agilität mein Thema? Die Antwort auf diese Frage liegt in meiner Geschichte. Mir scheint es, als wären wir im ausgehenden Jahre 2019 dabei, die gute Idee der agilen Arbeit zu verbrennen. Unternehmen zertifizieren ihre Mitarbeiter in agilen Methoden. Agilität wird verordnet, eingeführt und den Mitarbeitern übergestülpt. Alles und jedes scheint jetzt agil und dennoch funktioniert es nicht. Agile, wirksame und selbstorganisierte Arbeit erfordert einen größeren Ansatz. Der entscheidende Hebel liegt nicht auf der Teamebene, sondern auf der Unternehmensebene!
Auf der Unternehmensebene gibt es drei Faktoren, die entscheidend sind:
1. Echte Agilität erfordert eine agile Organisation
Die reine Einführung von Methoden, wie beispielsweise Scrum, auf Teamebene bringt eine Organisation nicht weiter. Scrum allein führt nicht dazu, dass deine Produkte schneller, besser oder marktgerechter entwickelt werden. Mit Ausnahme von Kleinunternehmen ist ein Team oft nur ein kleiner Teil in einer größeren Kette der Wertschöpfung. Und die Autonomie, die ein wirklich erfolgreiches Scrum-Team benötigt, wird von der Hierarchie nicht eingeräumt. Scrum oder Kanban auf Teamebene reichen also nicht aus! Ich bin ein großer Freund des Ansatzes von Klaus Leopold3. Leopold unterteilt ein Unternehmen in drei Perspektiven: die Unternehmensperspektive, die Wertestromperspektive über Teamgrenzen und die Team-Perspektive. Ohne übergeordnete Unternehmensstrategie, ohne die Betrachtung des Wertestromes vom Kunden zum Kunden, kann ein einzelnes Team machen was es will: Es wird schnell die nächste Barriere finden und dagegen rennen.
2. Selbstorganisation erfordert Fokus und Ziele
Das zweite Argument hat vielleicht erst einmal wenig mit Agilität zu tun. Vielen Organisationen und Teams fehlt schlichtweg der Fokus. Ich kenne viele Firmen und Organisationen, die vom Tagesgeschäft getrieben sind. Und Hand aufs Herz. Wie viele Teams haben echte Team-Ziele? Ziele schaffen Fokus und Gewohnheiten zur Zielerreichung schaffen Erfolg. Fokus und Gewohnheiten sind die wahren Erfolgstreiber auf allen Ebenen, sei es die persönliche oder die Unternehmensebene. Die großartigsten Firmen der Welt haben eine klare Vision und eine klare Fokussierung4. In der Umsetzung ist das agile Zielsystem Objectives & Key-Results genau das Instrument, welches Fokussierung, Ausrichtung und Selbstorganisation auf jeder Ebene unterstützt. Gute Ziele sind entscheidend! Fredmund Malik5 sagt: Die vornehmlichste Aufgabe jeder Führungskraft ist es, für Ziele zu sorgen. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je und es ist auch eine schöne Überleitung zu meinem letzten Punkt.
3. Wirksame Arbeit basiert auf großartiger Führung
Das dritte Argument hat etwas mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass die wahre Kraft agiler Arbeit unmittelbar mit guter Führung zu tun hat. Die Rolle von Führung ist wichtiger denn je. Die großartigste Führungskraft ist die, die aus jedem Mitarbeiter eine Führungskraft macht. Und das ist alles andere als einfach! Als langjährige Führungskraft weiß ich nur allzu genau, wie schwer es ist Kontrolle abzugeben6. Ich liebe Kontrolle, ich habe gerne die Fäden in der Hand und ich freue mich genauso, wie “Hannibal” Colonel John Smith 7, wenn ein Plan funktioniert. Aber das reicht leider nicht! Dafür ist unsere Welt zu komplex. Und egal wer diese Form von Führung praktiziert, er wird früher oder später unweigerlich zum Flaschenhals. Marcus Raitner8, Agile Coach und organisationaler Hofnarr bei BMW, hat das Manifest für menschliche Führung erarbeitet. Ich habe das Manifest unterzeichnet und halte es für wegweisend. Es geht bei dem Manifest vordergründig um menschliche Führung, es ist aber in Wahrheit ein Manifest für wirksame Führung. Und diese wirksame Führung ist die Form von Führung, die in unserer hochkomplexen Welt funktioniert.
Ein Blick ins Jahr 2020
Es war mir ein Herzenswunsch, in diesem Artikel meinen Weg und meinen Blick auf das Jahr 2020 zu beschreiben. Dieser Artikel ist meine Mission. Ich möchte dir und deinem Unternehmen oder deiner Organisation helfen, großartig zu werden. Wenn du möchtest, dass in deiner Organisation strategischer, fokussierter und mit ein wenig mehr Begeisterung gearbeitet wird, dann spreche mich an.
Hinweis:
- Das wunderschöne Titelbild habe ich von dankenswerterweise von lauren lulu taylor on Unsplash
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Aktuell wird mit SAFe 4.0/5.0 ein neuer Framework-Super-Tanker sehr populär. SAFe ist interessanterweise von dem selben Team entwickelt worden, wie der vor 20 Jahren populäre Rational Unified Process! Ich möchte aber klarstellen, dass ich SAFe inhaltlich durchaus gut finde. Es ist aber ein Irrglaube zu meinen, dass die Adaption eines Prozesses ein Unternehmen agil macht. Die Adaption von Prozessen und Agilität sind ein Widerspruch in sich, zumal SAFe die Flugebene 3 (Unternehmensebene) und Kunden sowie Nutzer weitgehend außen vor läßt! ↩︎ ↩︎
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An dieser Stelle danke ich Uncle Bob Martin dafür, dass er damals dieses so bedeutende Treffen organisierte. ↩︎
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Ich kann das Buch von Klaus Leopold zum Thema agile Organisationen nur empfehlen: https://www.amazon.de/dp/B07YNV2XF1/ref=dp-kindle-redirect?_encoding=UTF8&btkr=1 ↩︎
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Ich kann es nicht lassen und bringe dazu ein aktuelles Beispiel. Microsoft hat sich in den letzten Jahren mit hoher Konsequenz auf Cloud und Services fokussiert. Das ehemalige Flagschiff Windows spielt nur noch eine nachgelagerte Rolle. Durch Fokussierung auf Zukunftsthemen wurde Microsoft von einer stagnierenden Organisation wieder zu einem innovativen Marktführer. ↩︎
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Fredmund Malik ist Wirtschaftswissenschaftler in St. Gallen mit dem Forschungsschwerpunkt Managementlehre. Er verwendet einen systemtheoretischen und kybernetischen Ansatz für die Gestaltung von Managementsystemen. Homepage: https://www.malik-management.com/de/. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Grundlagen seiner Arbeit, dem Viable System Model von Stafford Beer verweisen. Ehre wem Ehre gebührt! Ich werde zu dem Thema bald einen Artikel verfassen. ↩︎
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Dave Marquet war Kommandeur eines amerikanischen Atom U-Bootes. In diesem Ted-Talk erzählt er seine Geschichte, wie er durch Kontext und klare Intentionen seine Mannschaft zu Führung und Selbstführung befähigte. https://www.youtube.com/watch?v=DLRH5J_93LQ ↩︎
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Für die jüngeren unter uns: “Hannibal” Colonel John Smith war Anführer und Stratege in der Fernsehserie “A-Team”. Hannibal gleicht die Unterlegenheit seines Teams durch seine (oft riskanten) Pläne aus. Zum Abschluss eines Auftrages wiederholte er gerne sein Zitat: “Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!” ↩︎
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Gute Führung wird von Marcus Raitner wunderbar thematisiert. Ein hervorragender Artikel zu Sinn und Vertrauen findest du hier: https://fuehrung-erfahren.de/2018/03/fuehren-mit-sinn-und-vertrauen/ ↩︎