Achtung Zukunft. Strategische Wendepunkte der Arbeit

Achtung. Vergangenheit.

Ich gebe zu, dass ich der Faszination der Technik erlegen bin und das schon seit über 30 Jahren. In dieser Zeit habe ich mit Interesse den Aufstieg und Fall von Technologie-Unternehmen verfolgt. Damit meine ich, neben dem bekannten Beispiel von Nokia, das Verschwinden von ehemals unfassbar großen Unternehmen, wie Lotus, Novell, Compaq oder DEC. Das alles waren große Namen, an die sich heute kaum noch jemand erinnert. In Deutschland kollabierte in dieser Zeit die gesamte Branche der Unterhaltungselektronik und bis auf Otto auch der klassische Versandhandel. All diesen Unternehmen ist gemein, dass sie einen “Strategic Infliction Point” oder auf Deutsch, einen strategischen Wendepunkt, nicht überlebten.

Der strategische Wendepunkt

In der Mathematik ist ein “Infliction Point” oder Wendepunkt derjenige Punkt, an dem ein Graph seine Richtung wechselt. Fortan gelten neue Regeln. Der alte Zustand ist verloren und etwas Neues geschieht. Andrew Grove1, der ehemalige Chef des Unternehmens Intel, hat diese Eigenschaft der Mathematik als Analogie für disruptive Veränderungen gesehen.

Strategischer Wendepunkt im Geschäftsleben

Die Grafik zeigt einen strategischen Wendepunkt. Bis zu einem gewissen Punkt läuft alles scheinbar ganz normal. Dann treten ein oder mehrere äußere Ereignisse auf, die die Spielregeln des Systems verändern. Zunächst beginnt eine fast unmerkliche Dynamik, die sich dann zu einem Sturm auswächst und das bestehende Geschäftsmodell völlig zerstört. Für ein Unternehmen kann so ein strategischer Wendepunkt der Untergang sein, oder, bei rechtzeitiger Adaption und Mut zur Veränderung, ein Neuanfang. In diesem Fall führt die Veränderung im Unternehmen zu neuen Höhen. Das Interessante aus Sicht eines Unternehmens ist, dass in Phase des Überganges von der Alten in die Neue Welt, klassische Managementkennzahlen völlig versagen. In dieser Phase, das gab Grove ehrlich zu, hat er das Unternehmen über Intuition geführt2.

Charly Chaplin und der Untergang von Nokia

Ein sehr populäres Beispiel für einen strategischen Wendepunkt ist die vollständige Veränderung des Geschäftsmodells der Handys durch Smartphones. Im Jahr 2006 war die Firma Nokia weltweit absoluter Marktführer für Mobiltelefonie. Mit dem iPhone der Firma Apple war das Zeitalter der Tastentelefone vorbei. Die ehemals erfolgreichen Hersteller, wie Nokia, BlackBerry und Microsoft verstanden das neue Konzept nicht und stemmten sich sogar gegen diese Veränderung. Ähnliches beobachte ich derzeit in der Frage der Mobilität und damit meine ich nicht nur Tesla, sondern die Veränderung der Natur der Mobilität selbst. Wir stehen hier meiner Beobachtung nach vor einem Wendepunkt in der Anfangsphase.

Es sind oft die Helden der Vergangenheit, die die Veränderung der Zukunft falsch einschätzen. Ein schönes Beispiel dafür ist der großartige Charly Chaplin, der sich sogar mehrere Jahrzehnte gegen den Tonfilm wehrte, bis er schließlich mit dem grandiosen Film “Der große Diktator” diesem Trend endgültig nachgab oder nachgeben musste. Und genau dieser Film wurde sein größter Erfolg.

Gab es strategische Wendepunkte in der Arbeit?

Strategische Wendepunkte gibt es überall, in der Technologie, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und nicht zuletzt auch in der Form, wie wir arbeiten. Gut, aber was hat das alles mit der Zukunft von Arbeit zu tun? Nun, ich vertrete dazu zwei Thesen:

  1. Die eine These ist, dass strategische Wendepunkte keine Seltenheit sind, sondern ein Normalzustand bilden. Strategische Wendepunkte treten kontinuierlich auf und sie beeinflussen auch die Form der Arbeit im Unternehmen.
  2. Der andere vielleicht wichtigere Punkt: Es sind gerade auch Arbeitsmethoden, die eine dramatische Veränderung in der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bewirken können.

Beispiel 1: Lean Management

In den 90er-Jahren verloren Europa und die USA wichtige Industrien an die Japaner. Zunächst wurde den Japanern unterstellt, dass diese eifrig Industriespionage betrieben (und das taten sie auch). Aber durch Industriespionage wird kein Unternehmen Marktführer. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor waren neue Arbeitsmethoden, die wir heute Lean Management nennen. Diese neue Form der Arbeit stellten alte Regeln völlig auf den Kopf. Die deutsche Autoindustrie überlebte diesen strategischen Wendepunkt nur, weil sie die neuen Methoden adaptierte und auf deutsche Verhältnisse anpasste. Es stand aber lange Zeit nicht gut um unsere Vorzeigebranche, denn sowohl Qualität als auch Preis der japanischen Fahrzeuge erschienen uneinholbar. Lean Management, Kai-Zen und die 7-Sünden der Verschwendung haben seitdem unsere Arbeitswelt verändert.

Beispiel 2: Das Agile Manifest

Ein anderes Beispiel. Ich selbst komme aus der IT und habe die Softwarekrise Anfang des Jahrtausends miterlebt. Der Anteil gescheiterter IT-Projekte betrug zu diesem Zeitpunkt zwischen 70 und 90 %, je nach Studie und Messung. Es gab insbesondere in Deutschland katastrophale gescheiterte Großprojekte, wie das Herkules Projekt der Bundeswehr oder der Versuch eine bundesweit einheitliche Software für die Finanzämter zu entwickeln. Die schlichte Erkenntnis war, dass Software-Entwicklung komplex ist und nicht im Sinne eines maschinellen arbeitsteiligen Fertigungsprozesses durchführbar ist. Der Versuch, Wissensarbeit über Regeln, Prozesse und Rollen zu kontrollieren, ist gescheitert. Die richtige Antwort auf die Probleme in der IT war die Aufstellung des “Agilen Manifests”. Seit dem ist die Software-Entwicklung bis zu einem gewissen Grad entfesselt worden und neue Plattformen veränderten dramatisch bestehende Geschäftsmodelle.

Mein Tipp für den nächsten Wendepunkt der Arbeit

Ich glaube, dass wir bald weitere strategische Wendepunkte in der Arbeit erleben werden. Es kann sogar sein, dass diese Wendepunkte zur Zerstörung der heutigen Sicht auf Agilität, Beta oder New Work führen können. Das ist nicht schlecht, wenn das Ergebnis eine noch bessere und dramatische Veränderung der Arbeit ist.

Aber was könnte so ein strategischer Wendepunkt der Arbeit sein? Darüber lässt sich heute nur spekulieren aber ich habe das Gefühl, es hat etwas mit selbstständiger Arbeit zu tun. Wir befinden uns in Deutschland in einer Angestelltengesellschaft. Die sozialen Sicherungssysteme und die Ausbildung unserer Kinder sind auf dieses Modell hin optimiert. Die Idee der Arbeit als Angestellter geht davon aus, dass die Menschen Sicherheit wollen und dafür gerne bereit sind, ihre (Lebens-)Zeit gegen Geld zu tauschen. Die Karriere erfolgt innerhalb der Binnenorganisation und nicht beim Kunden. Aber dieses Lebensmodell verliert auch in Folge der Digitalisierung sein Alleinstellungsmerkmal. Moderne Wissensarbeit erfordert nur noch ein Notebook, Expertise und ein wenig Risikofreude. Corona zeigt sogar, dass Arbeiten auf Distanz durchaus möglich und effizient ist.

Digitale Nomaden gehen ein Schritt weiter und verflechten Life-Style und Arbeit zu einem engeren Band, als wir es bislang von der strikt getrennten Work-Life-Balance her kennen. Vielleicht kommen wir zu einem Punkt, bei denen Ideen, wie der eines 5-Stunden Tages oder die freie Arbeit wieder eine stärkere Bedeutung haben, als wir sie heute kennen und vielleicht sogar eine Kombination aus klassischer und selbständiger Arbeit mehr zu Regel wird, wie es Sidepreneure gerne tun.

Achtung. Zukunft. Die Freude an Beruf(ung) und Leben

Künftige strategische Wendepunkte in Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft werden unsere Arbeitswelt verändern. Wir werden neue und interessante Formen der Arbeit kennenlernen und uns vielleicht sogar bald von der agilen Arbeit zugunsten etwas Neuem verabschieden. Ich für meinen Teil, bleibe weiter neugierig und freue mich auf noch mehr Qualität und Freude in Beruf(ung) und Leben.

Dieser Beitrag entstand anlässlich der Blogparade Achtung. Zukunft. – 8. PM Camp Berlin Online.


  1. Andrew “Andy” Grove ist ein erfolgreicher Unternehmer und gleichzeitig bekannt für die Erfindung der Managementmethode Objectives & Key Results, die er aber niemals so nannte. ↩︎

  2. Andrew Grove schrieb zum Thema “Strategic Infliction Points” ein Buch mit dem Titel, “Only the paranoid survives”. Ich empfehle das Buch, wenn du dich für die Herausforderungen in einem schnell verändernden Geschäftsfeld, wie die Hochtechnologie, interessierst. Ich selbst lese die Bücher von Grove, um mehr über den geistigen Vater des Managementsystems OKR zu erfahren. ↩︎

Previous PostThe One Thing oder Warum du mit einem einzigen OKR starten solltest
Next PostDie Objective-Story oder deine Heldenreise zum perfekten Objective
comments powered by Disqus