Der Klassiker des Change-Managements: 'Leading Change' von John P. Kotter

Über Veränderungen

Veränderungen sind ein Muskel, der trainiert werden muss! Aus meiner Sicht auch ein geistiger Muskel. Veränderungen werden, nicht zuletzt durch die Digitalisierung, ein immer wichtigeres Thema für alle Organisationen, vom Start-Up bis zur öffentlichen Verwaltung.

Die landläufige Meinung zu dem Thema ist aber: Menschen mögen Veränderungen nicht. Ganz im Gegenteil! Sie sehnen sich nach Ruhe, Stabilität und Ordnung im beruflichen Kontext! Die Wahrheit ist aber eine andere: Jeder Mensch kann in Wirklichkeit sehr gut mit Veränderungen. Wir Menschen sind sogar richtige Veränderungs- und Anpassungsweltmeister. Unser ganzes Leben ist doch geprägt durch Erfahrungen, Veränderungen und Ereignissen. Dennoch, irgendwann, vielleicht schon in der Schule, wird uns der Spaß und die Freude am Verändern abtrainiert.

Nach diesen einleitenden Worten widme ich mich in dieser kleine Serie zum Thema Veränderungen dem Klassiker zum Thema Change-Management. Es geht um das Buch “Leading Change” von John P. Kotter.

"Wir Menschen mögen eigentlich Veränderungen. Was wir aber nicht mögen ist, verändert zu werden!"

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Der Klassiker zum Thema Change-Management: John P. Kotter - Leading Change 1

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John P. Kotter schrieb bereits 1996 seinen Bestseller “Leading Change” (Veränderungen herbeiführen), der auch heute nichts von seiner Aktualität verloren hat. In diesem Buch diagnostiziert Kotter zunächst, warum unzählige Change-Management Programme in der Vergangenheit scheiterten um anschließend mit einem klaren Vorgehensmodell zu zeigen, wie Veränderungen richtig gehen. Also los!

Die gravierendsten Fehler im Change-Management

  1. Fehler 1: Es gibt kein Gefühl der Dringlichkeit und ein selbstgefälliges Management

    Das ist aus Sicht von Kotter das gravierendste Problem. Die Veränderung wird durchgeführt ohne dass wirklich klar ist, warum diese überhaupt erfolgen soll. Kotter schreibt, dass das eigentliche Problem eine zu große Selbstgefälligkeit der Führungselelite ist.

  2. Fehler 2: Es gibt keine Koalition der Willigen

    Führungskräfte müssen sich als Motor der Veränderung begreifen. Wenn einige Führungskräfte sogar nur widerwillig mitmachen, ist die Veränderung schon so gut wie gescheitert. Kotter sagt, dass man eine Veränderung nicht den Abteilungen überlassen darf.

  3. Fehler 3: Veränderung ohne Vision

    Wenn nicht klar ist, wohin die Reise eigentlich gehen soll, wird eine Veränderung sehr schwer. Dieses Thema Vision ist im Übrigen vielschichtiger und tiefer als viele denken. Kotter widmet dieser Frage zu recht viele Seiten in seinem Buch.

  4. Fehler 4: Mangelhafte Kommunikation und widersprüchliches Agieren

    Das Kommunikation wichtig ist hört man immer wieder. Das ist eine Binsenweisheit. Aber schlimmer ist es, wenn sich die Führung im Widerspruch zur Kommunikation verhält. Letzteres ist leider häufig der Fall. Ein Beispiel: Das Unternehmen soll “agiler” werden, aber die Führung arbeitet exakt so, wie vorher.

Die 8 Phasen erfolgreicher Veränderung

In seinem Buch führt Kotter weitere Fehler auf, aber die zuvor aufgezeigten Positionen halte ich für die wichtigsten Feststellungen. Kotter beschreibt einen mehrstufigen Prozess als Rezept zur erfolgreichen Veränderung. Er schlägt 8 Phasen vor, damit sich eine Organisation von einer stabilen Ausgangssituation A zu einer stabilen Zielsituation B verändert. Und darauf werfen wir jetzt gemeinsam einen Blick.

  1. Erzeuge schmerzhafte Dringlichkeit

    Die Erzeugung von Dringlichkeit und bestehender Schmerzen ist nicht einfach. Kotter schlägt sogar vor, dass sich Krisen in einem Unternehmen erst einmal verschärfen sollen, damit auch wirklich jedem klar ist, dass sich etwas ändern muss. Besser finde ich seinen Hinweis, die Führungskräfte direkt mit unzufriedenen Partnern, Kunden etc. zu konfrontieren. Unabhängig davon: Ohne klar vermittelte Dringlichkeit bewegt sich kein Mensch. Warum auch?

  2. Baue ein starkes Veränderungsteam als Nukleus der Veränderung auf

    Kotter sagt, Veränderungen brauchen ein Veränderungsteam, das im Wesentlichen vier Kriterien genügt:

    • Es müssen Manager aus der Hierarchie eingebunden werden, die nicht ignoriert werden können.
    • Das Team braucht die erforderlichen Experten, damit intelligente und fundierte Entscheidungen getroffen werden können.
    • Das Team braucht glaubwürdige Menschen mit guter Reputation in der Organisation.
    • Und zuletzt ist unbedingt darauf zu achten, dass führungsstarke Persönlichkeiten das Team ergänzen. Spannend, denn diese sind nicht unbedingt mit den Managern der Hierarchie identisch.
  3. Entwickle eine klare mitreissende Vision

    Kotter schlägt vor, eine klare Vision zu entwicklen, wo die Reise hingehen soll. Eine gute Möglichkeit dazu ist die Entwicklung eines Zukunftsbildes. Das Problem ist, das klassische Manager nicht geübt in Visionsbildung sind. Wenn Manager über Visionen reden, meinen Sie in der Regel einen Plan mit messbaren Ergebnissen. Nach meiner eigenen Erfahrung entstehen gute Zukunftsbilder erst, wenn ein diverser und guter Ausschnitt der Belegschaft dazu eingeladen wird. Die gemeinsame Erarbeitung und die Nutzung des kreativen Potentials der Mitarbeiter ist nicht zu unterschätzen.

  4. Kommuniziere deine Veränderung unentwegt

    Auch diese Phase ist nicht einfach. Wie gelingt gute Kommunikation wirklich? Kotter sagt, sie gelingt vor allem dann, wenn Sie einfach und plausibel ist. Am Ende sagt er, muss man so lange kommunizieren, bis es keiner mehr hören kann. Erst dann kommt die Botschaft wirklich an. Wichtig ist die Nutzung verschiedner Formate in der Kommunikation: Persönliche Kommunikation, visuelle Informationen, Medien, usw. Noch wichtiger ist es aber, dass die Führungskräfte die kommunizierten Botschaften selbst aktiv vorleben und nicht diesen zuwider handeln. Keine einfache Aufgabe, im operativen Tagesgeschäft!

  5. Befähige und trainiere deine Mitarbeiter für die neue Welt

    Mitarbeiter brauchen Fähigkeiten und Kompetenzen. Punkt. Es geht Kotter aber nicht nur um das Training der Mitarbeiter, es geht ihm auch darum, die Organisation konkret an die Vision anzupassen. Und dennoch, wie oft werden Veränderungen eingeläutet, ohne dass die Mitarbeiter in Methoden und Denkweisen ausreichend qualifiziert werden?

  6. Stelle schnelle Erfolge sicher

    Größere Veränderungen erfordern Schwung. Wie kommt Schwung in die Sache? Durch Erfolge! Und diese Erfolge können geplant werden. Wichtig ist, dass die Erfolge Relevanz haben und die Veränderung wirksam unterfüttern. Feigenblätter2 bringen überhaupt nichts, werden schnell durchschaut und sind kontraproduktiv.

  7. Konsolidiere die Veränderung und bleibe dran

    Es geht nach Kotter nicht nur ums dranbleiben. Es geht um das Befeuern der Veränderung. Kotter schlägt vor das Veränderungsteam sukzessive zu vergrößern. Veränderungsprojekte sind an weitere Mitarbeiter der Basis zu delegieren und es muss eine Führung von unten ermöglicht werden. Die Abhängigkeiten zwischen den Veränderungsteams müssen aucgh abgebaut werden, damit Schwung in die Sache kommt und sich die Veränderung “verselbständigt”.

  8. Verankere die Veränderung mit aller Konsequenz in der Kultur

    Kotter geht es bei diesem leztten Schritt darum, die geschaffene Veränderung zu stabilisieren. Kotter zurecht:

    Kultur lässt sich nicht einfach umgestalten. Alle Versuche, sie zu packen und in eine neue Form zu pressen, sind zum Scheitern verurteilt, weil man sie eben nicht packen kann. Eine Kultur lässt sich nur dann verändern, wenn man zuvor die Handlungsweisen der Menschen erfolgreich geändert hat 1.

    Kurz, der Wandel wird sich in der Kultur nur veankern, wenn die vollzogenen Veränderungen erfolgreich sind und Beförderungen, Personalentwicklung etc. sich an der neuen Struktur orientieren. Kotter empfiehlt sogar, sich von Schlüsselpersonen zu trennen, wenn diese mit der neuen Kultur nicht zurechtkommen. Ich würde das auf deutsche Verhältnisse etwas vorsichtiger sehen: Wenn sich jemand mit der neuen Kultur nicht anfreunden kann, was durchaus begründet und sinnvoll sein mag, der sollte die Veränderung selbst suchen.

Meine Sicht und eine kleine Kritik

Das Buch von John P. Kotter ist auch heute noch lesenswert. Vielleicht sogar mehr denn je. Dennoch sind einige Punkte aus meint Sicht heraus, kritisch zu beleuchten.

Eine Veränderung ist kein einfacher Ablauf mit Start- und Ende

Kotter stellt mit seinen 8 Stufen den Change-Management Prozess als logische Abfolge dar. Und wenn ich ehrlich bin, das ist süßes Gift. Wir wünschen uns alle einfache Strukturen und Methoden aber komplexe Veränderungen sind eher iterative Prozesse mit Rückschleifen. Und schon die Entwicklung eines klaren Zielbildes ist nicht so einfach, weil auf der scheinbaren Reise auch viel gelernt wird und das Ziel auch angepasst werden muss. In der agilen Transition ist ein Ende aus der Veränderung aus meiner Sicht gar nicht sinnvoll, denn es gibt keinen agilen Zielzustand, sondern nur eine agile Haltung in der Organisation.

Eine angeordnete Veränderung funktioniert nicht

Ich bin absolut bei Kotter wenn er sagt, dass Veränderung absoluten Rückhalt im Top-Management braucht. Aber ich bin auch der Meinung, dass Veränderung die Top-Down geplant wird größte Risiken hat. Trotz Kommunikation, trotz Vision, trotz Management-Attention. Wenn die Beteiligung der Belegschaft fehlt, wenn es keine Einladung gibt, die Veränderung mitzugestalten, dann wird es schwierig.

Das Thema Kultur kann ignoriert werden

Irgendwie ist dieses Thema in allen Organisationen, die ich kenne, total präsent. In unserer Kultur geht es nicht, unsere Historie lässt so etwas nicht zu, und so weiter. Kotter sagt richtigerweise, die Kultur ist der letzte Schritt bzw. das Ergebnis der Veränderung. Ich sage, die Kultur kann bei der Veränderung ignoriert werden. Sie ist ein Schatten der gegenwärtigen Handlungen und Arbeitsweisen von Menschen. Die Veränderung der Handlungen und der Arbeitsweisen verändert folglich auch die Kultur. Letztere braucht nur ein wenig Zeit für die Anpassung. Das ist alles. Statt die Kultur zu thematisieren, würde ich sie heute eher weglassen.

Fazit und Ausblick

Ich möchte diese Serie über Ideen zur Veränderungen fortsetzen. Mein nächster Beitrag handelt über das Buch eines Antipoden von Kotter, zumindest nehme ich Niels Pfläging3 so wahr. Ich werde über das Buch OpenSpace Beta schreiben, in dem Niels Pflaeging eine erfolgreiche Veränderungen von Organisationen in 90 Tagen verspricht. Niels Pflaeging hat bereits mit Komplexitoden ein wunderbares Buch über den Umgang mit Komplexität geschrieben. Ich freue mich daher sehr auf sein neues Werk.

Benötigst du auch Unterstützung oder Ideen für die Veränderung in deiner Organisation? Spreche mich gerne völlig unverbindlich an.

Bildhinweise: Photo by Derek Oyen on Unsplash


  1. Kotter, John P.. Leading Change: Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern (Business Essentials) (German Edition) (S.132). Vahlen. ↩︎ ↩︎

  2. Mit Feigenblatt meine ich eine Aktion, die inhaltlich wenig bringt, aber einfach durchzuführen ist. ↩︎

  3. Pfläging, Niels,Hermann, Silke. Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag. ↩︎

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