Sind OKRs ein Kooperationskiller erster Klasse?

OKRs als Kooperationskiller …

Seitdem das Framework Objectives & Key Results “en vogue” ist, gibt es scheinbar zwei polarisierte Meinungen zu diesem Framework. Die eine Fraktion feiert weitestgehend unreflektiert die Vorzüge des agilen Zielsystems, während die andere Fraktion die OKRs in den Bereich der tayloristischen Arbeit und des individuellen Performance-Managements verorten.

So hat beispielsweise Mark Poppenborg, renommierter Mitgründer der Beratungsagentur Intrinsify, in einem aktuellen Beitrag die OKRs (im Kontext mit Management by Objectives) als Kooperationskiller Nummer 1 bezeichnet.

Ich nehme das zum Anlass und werfe unabhängig vom Beitrag von Mark 1 meinen eigenen Blick auf die Frage, ob die OKRs jetzt eher ein Kooperationskiller oder vielleicht doch ein Kooperationsbooster sind. Und dazu hole ich mir Unterstützung von den Ideen zur Teamarbeit von Patrick M. Lecionie 2.

Was zeichnet eine gute Kooperation aus?

Patrick M. Lecionie hat in seinem Buch “Die fünf Dysfunktionen eines Teams” beschrieben, welche Verhaltensweisen Kooperation zerstören oder umgekehrt dramatisch verbessern.

Die fünf Dysfunktionen eines Teams sind:

  1. Fehlendes Vertrauen
  2. Angst vor Konflikten
  3. Fehlendes Engagement
  4. Vermeidung von Verantwortung
  5. Keine Orientierung an Ergebnissen

Diese fünf Dysfunktionen veranschaulicht Lecionie in Form einer Pyramide, bei der jede Dysfunktion auch eine Basis für die nächste Dysfunktion bietet. So führt beispielsweise die Abwesenheit von Vertrauen dazu, dass es eine Angst vor Konflikten gibt.

Die 5 Dysfunktionen eines Teams nach Patrick M. Lecionie

Wenn du die Dysfunktionen der Pyramide umdrehst, erhältst du eine Wertetreppe, die automatisch zu der Eigenschaft führt, die auch ein Ziel des Frameworks OKR ist, die Orientierung an Ergebnissen:

Vertrauen ⇒ Konfliktfähigkeit ⇒ Engagement ⇒ Verantwortung ⇒ Ergebnisorientierung

Jetzt stelle ich mir folgende Frage. Wenn OKRs wirklich Kooperationskiller wären, so würden die OKRs doch einige, wenn nicht sogar alle dieser fünf Dysfunktionen bedienen?

Um diese Frage zu klären, habe ich eine Tabelle entworfen und geschaut, wie sich OKRs bezüglich der einzelnen Dysfunktionen verhalten. Dabei habe ich in diesem Gedankenspiel auch geschaut, wie OKRs im Kontext der Kooperation zielführend und weniger zielführend eingesetzt werden können.

Das Problem der Dysfunktion OKR Theater OKR korrekt genutzt Dysfunktion
Die Teammitglieder vertrauen sich nicht. Jeder versucht sich selbst zu schützen. Es entsteht innerhalb des Teams Politik. Die OKRs werden diktiert und zur Messung der Teamperformance genutzt. Kontrolle regiert. Das Team erarbeitet Ziele und Key Results selbständig. Die Key Results schaffen Klarheit und Verständnis der Zielerreichung. Abwesenheit von Vertrauen
Unangenehme Dinge werden nicht ausgesprochen. Um Lösungen wird nicht gerungen. Der (faule) Kompromiss wird geduldet. Die Retrospektive und Check-Ins finden nicht statt. Die Key-Results werden im Team individuell verantwortet und arbeitsteilig umgesetzt. Konflikte werden vermieden. Das Team reflektiert regelmäßig den Weg zum Ziel. In der Retrospektive werden Lerneffekte offen und konstruktiv besprochen. Das Ringen um die bessere Lösung ist Teil der Teamkultur. Angst vor Konflikten
Engagement oder Commitment erfordert zwei Dinge: Klarheit in der Entscheidung und die Unterstützung der Entscheidung Im Planning werden Entscheidungen vermieden und es wird lieber eine möglichst tragbare Entscheidung gesucht. Getroffene Entscheidungen tragen nicht und werden von Teammitgliedern infrage gestellt. Es gibt keinen Rückhalt für die Erreichung der Ziele Die Entscheidungen werden im OKR-Planning und in den Check-ins vom Team getroffen und gemeinsam getragen. Es wird nicht (nur) der Kompromiss oder der Konsens gesucht, sondern die Findung der beste Entscheidung steht im Vordergrund. Das Team strebt nach Verbesserung und fordert sich (Stretching) Fehlendes Engagement
Ergebnisse werden nicht vom Team als Ganzes verantwortet. Stattdessen wird die Verantwortung zur Erfüllung der Teamziele auf einzelne Teammitglieder oder Externe delegiert. Das Check-In ist ein Status-Meeting. Aufgaben und Ziele sind individualisiert. Wenn ein Teammitglied seine Aufgaben nicht schafft, wird das thematisiert oder ignoriert. Es werden keine Lösungen gesucht Das Team sieht die Teamziele als Teamziele. Wenn Dinge nicht funktionieren, werden Lösungen gesucht oder Experimente gewagt. Das Check-In ist kein Statustreffen, sondern ein Lösungs- und Verbesserungsmeeting. Vermeidung von Verantwortung
Die Teammitglieder orientieren sich nicht an den Teamzielen, sondern an anderen Dingen. Oftmals steht der individuelle Status in der Gruppe oder in der Organisation im Vordergrund. Es ist wichtiger “gut auszusehen”, als Dinge zu erreichen. Nicht das Objective, sondern die Key Results beziehungsweise die Rationalisierung der faktischen und möglicherweise mangelhaften Ergebnisse stehen im Vordergrund. Damit keiner schlecht dasteht, werden Ziele möglichst niedrig gehängt. Das Objective und die Intention des Objectives steht im Vordergrund des Handelns. Fehler und Falscheinschätzungen werden dankbar als Teil einer Lernreise wahrgenommen. Das Team strebt nach höheren und ambitonierteren Zielen Fehlende Orientierung an Ergebnissen

Es stimmt, die Methode allein macht es nicht

Wie du an der Tabelle siehst, ist die Methode Objectives & Key Results für sich allein gestellt weder ein Kooperationskiller noch ein Kooperationsbooster. OKRs versagen, wenn im Kontext der Methode weiterhin eine Kultur der Weisung und Kontrolle herrscht. OKRs versagen, wenn sie als reines Instrument der Teamarbeit gesehen werden, während auf der Führungsebene weiterhin auf Weisung und Kontrolle gesetzt wird.

Damit teilen übrigens die OKRs dasselbe Schicksal, wie andere Methoden oder Denkansätze, wie Scrum, Kanban oder gar das Lean Management. Ohne Richtung, Ressourcen und Vertrauen, versanden methodische Ansätze.

Daher ist es erforderlich, bei der Nutzung von OKRs nicht nur auf die Methode, sondern auch auf das System in der Organisation zu schauen und den Hebel zur Kooperation zu suchen. Ein Hebel könnte mehr Kollaboration und Diversität bei der Strategieentwicklung, bevor die OKRs als Instrument zur Umsetzung überhaupt ins Spiel kommen.

OKRs als Kooperationsbooster

Wenn der Wille zur Verbesserung und Fokussierung besteht, kann dieser mit Objectives & Key Results richtig befeuert werden. OKRs bieten dann einen fundierten Rahmen für Selbstorganisation und Effektivität. OKRs weisen in eine Richtung, sie geben durch klare Intentionen des strategischen Objectives einen Rahmen vor, damit die Teammitglieder auf ihrer jeweiligen Ebene bessere Entscheidungen und eigene Wege gehen können. Dieser Rahmen oder auch das Alignment schafft erst die Basis für Autonomie, Selbstorganisation und effektive Arbeit.

Sehr schön wurde diese Sicht von meiner Beraterkollegin Cansel Sörgens zusammengefasst und beschreibt damit auch genau meine Erfahrung:

Und so werden die OKRs zu Kooperationsboostern, weil Sie die Kooperation nicht nur auf der Teamebene, sondern in der ganzen Organisationsebene befeuern.

Danke Mark für deinen Denkanstoß.


  1. In dem Beitrag werden die OKRs von Mark in den Kontext der individuellen Zielvereinbarung gerückt. Das ist natürlich Unfug und Mark weiß das auch. OKRs dienen dazu, kurzfristige Teamziele für einen Zeithorizont zu etablieren, der noch nicht im Nebel der Unsicherheit liegt. Ich werde die Punkte von Mark in einem anderen Artikel aufgreifen, weil die generelle Aussage, dass messbare Ziele in einer dynamischen Welt immer der Realität hinterherhinken, auch nicht stimmt. ↩︎

  2. Die 5 Dysfunktionen eines Teams von Patrick M. Lecionie: https://www.amazon.de/Die-5-Dysfunktionen-eines-Teams-ebook/dp/B00ONSWB5W ↩︎

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