Konferenz Agile Verwaltung 2019
Mein Tag auf der Konferenz Agile Verwaltung 2019 in Ettlingen
Vor einigen Tagen hatte ich ein kurzes Gespräch mit einem langjährigen Experten der öffentlichen Verwaltung. Als ich ihm mitteilte, dass ich zur Konferenz des Forums Agile Verwaltung fahre, war seine Reaktion unerwartet harsch:
Agiles Arbeiten? Herr Claaßen, Agilität hat in der öffentlichen Verwaltung wirklich nichts zu suchen. Und das hat einen ganz einfachen Grund: Wir brauchen ein rechtssicheres und planvolles Vorgehen im Projektmanagement.
Ich erwiderte, dass Agilität eine hilfreiche Ergänzung und kein Widerspruch sein muss. Dennoch reiste ich mit einem etwas beklommenen Gefühl nach Ettlingen, einer kleinen Stadt in der Nähe von Karlsruhe.
Inhalt des Artikels [ Anzeigen ]
Gespräche am Abend
Bevor die Konferenz los ging, gab es ein nettes Beisammensein mit Abendessen. Ich hatte interessante Gespräche über die Herausforderungen des Föderalismus in der Schweiz oder die agile Entwicklung einer neuen Schulsoftware. Der Abend wurde ergänzt durch einfache interaktive Spiele, die bereits am Vorabend ein wenig Agilität einforderten. Vielen Dank hier an die Veranstalter 1 und an Wolfram von Schneyder 2 für das Sponsoring der Konferenz .
Heidelberg auf dem Weg zur Agilen Organisation
Am eigentlichen Veranstaltungstag ging es direkt zur Sache. Christine Gebler und Roland Haag berichteten über die Organisationsentwicklung in Heidelberg. Heidelberg hat sich auf dem Weg gemacht, die Stadtverwaltung zu einer agilen Organisation weiterzuentwickeln. Robert Haag berichtete, dass die öffentliche Verwaltung unter Druck schon immer agil war. Als jüngstes Beispiel benannte Haag die Flüchtlingskrise 2015, als volle Busse mit Flüchtlingen plötzlich vor der Stadtverwaltung standen.
Nach dieser Einführung nahm uns Christine Gebler auf Ihre Reise als Change-Managerin in Heidelberg mit. Sie begleitet Heidelberg mit einem eigenen kleinen Team in der agilen Transition. Der Oberbürgermeister von Heidelberg unterstützt das Vorgehen und beteiligt sich auch persönlich an dem Veränderungsprozess. Was mir besonders gefällt: Das Vorgehen in Heidelberg ist keine Blaupause, wohl aber eine inspirierende Anregung für andere Kommunen auf dem Weg in der Digitalisierung.
Zum Abschluss der Präsentation gab es einen Blick auf das kurpfälzische Kanban-Board der IT.
Gründe für eine agile Organisation in Heidelberg
Warum geht Heidelberg diesen ungewöhnlichen Schritt? Der jetzt eingeleitete Veränderungsprozess ist im Wesentlichen ein Ergebnis der Führungskräfteklausur im letzten Jahr gewesen.
Frau Gebler benannte folgende Gründe:
- Heidelberg verfolgt aktiv die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen 3.
- Die Beteiligung der Mitarbeiter wird immer wichtiger.
- Die demographische Entwicklung führt dazu, dass Heidelberg nicht nur effizienter, sondern vor allem auch als Arbeitgeberin attraktiv zu bleiben.
- Die Bürger fordern innovative Vorgehensweisen von den Behörden.
Das folgende Schaubild zeigt sehr schön, wie gemeinsame die Ziele einer Organisation verfehlt werden, wenn jeder Fachbereich weiter seine eigenen Ziele verfolgt.
Agile Transition einer Stadtverwaltung in der Schweiz
Dr. Ralf Eckhard Türke berichtete über seine Erfahrungen mit der agilen Transition einer Stadtverwaltung in der Schweiz. Sehr gut fand ich, dass bei diesem Vortrag der Umgang mit Richtlinien und Regularien thematisiert wurde. Dr. Ralf Eckart Türke zeigte beispielsweise auf, dass eine Organisation systemisch 4 betrachtet werden muss. Dazu führt er neben der formalen Struktur auch die Aktivitätsfelder einer Stadt auf.
Ein guter Vortrag, bei dem ich mir doch an der ein oder anderen Stelle eine Verdichtung der Kernaussage gewünscht hätte. Die habe ich so verstanden: Zusammenarbeit entsteht nicht zufällig, sondern muss organisiert werden. Systemische Ansätze helfen dabei, über Fachbereichsgrenzen neue Formen der Kommunikation zu finden. Regularien sind kein Hindernis, sondern bilden einen Rahmen, der agile Ausgestaltung ermöglicht.
Agiles Netzwerk #ANDI
ANDI steht für Agiles Netzwerk Digitale Innovation 5 und ist für mich eines der spannendsten Experimente zur interkommunalen Zusammenarbeit. Das Netzwerk zeigt sehr schön, dass Kommunen nicht heiraten müssen, um sinnvolle Zusammenarbeit zu organisieren. Karsten Krumm, Stadt Konstanz, und Rüdiger Cziechla, Stadt Freiburg, berichteten über ihre Erfahrungen mit der Erstellung nutzerorientierter digitaler Bürgerservices. Basierend auf dem Landesportal Service.BW erarbeiteten Sie in einem Sprint einen Service zur Abfrage von Mietpreisen.
Über die Bedeutung der Nutzerorientierung
Der inhaltliche Schwerpunkt bildete das Thema Nutzerorientierung (englisch: User Experience). Karsten Krumm schilderte, wie nachdenklich er durch einen Vortrag des UK.GOV 6 wurde. Schlechte Nutzerorientierung ist die größte Steuergeldverschwendung im Kontext der Digitalisierung. Ja und nochmals Ja!
Bravo: Endlich wird der Nutzen gemessen!
Was mich total begeisterte war, dass sie prototypisch auch zeigten, wie der Nutzen der Lösung gemessen werden kann. Dabei werden zum Service die Nutzungszahlen angezeigt. Ich finde die Diskussion über Nutzerorientierung und User Experience ist konsequent so zu führen, dass dieser Nutzen oder der Nutzwert auch erhoben wird. Digitale Lösungen in der Wirtschaft orientieren sich zu hundert Prozent an der Auswertung des Nutzens. Dabei helfen einfache aggregierte Zahlen ungemein weiter. Ich kenne Organisationen, die mit großem Aufwand teure IT-Systeme “erfolgreich” eingeführt haben. Am Ende wurde aber mit Excel und nicht mit SAP-Lösung gearbeitet.
Ein Riesenthema: Führung in der Digitalisierung
Ich wahr überrascht und erfreut zu gleich, welches große Interesse das Thema Führung hatte. Warum verändert sich Führung überhaupt? Was bedeutet das für die eigene Arbeit. Was kann ich als Führungskraft konkret tun? Diese Fragen beantworte Wolfram v. Schneyder in einem sehr gut besuchten Workshop.
Gut fand ich, dass nach einem Impuls alle Teilnehmer ins Handeln gebracht wurden und in verschiedenen Gruppen Ideen zum Thema Kollegiale Beratung erarbeiteten.
Die beste Zusammenfassung für die Veranstaltung
Die Teilnehmer konnten über Kudo-Karten7 ein wertschätzendes Feedback zur Veranstaltung geben. Folgende Karte, die Falk Golinsky auf Twitter postete, fasst die Stimmung besonders schön zusammen:
Weitere Rückblick auf die Konferenz gibt es direkt im Forum Agile Verwaltung:
- Falk Golinsky: Plötzlich agil - Ein Konferenzrückblick
- Dr. Martin Bartoniz: Nachlese: Konferenz Agile Verwaltung 2019
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Die Veranstalter vom Forum Agile Verwaltung: Veronika Levesque, Heinz Bayer, Thomas Michl, Falk Golinsky, Dr. Martin Bartoniz, Wolf Steinbrecher. Mehr Informationen gibt es unter https://agile-verwaltung.org/ueber-uns/. ↩︎
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Wolfram v. Schneyder ist Spezialist für das Projektmanagement in der Verwaltung und im Mittelstand. Mehr Infos gibt es unter https://vscteam.de ↩︎
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Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen wurden 2015 im Rahmen der Agenda 2030 veröffentlicht. Mit diesen Zielen soll eine grundlegende Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen heute und in zukünftigen Generationen erreicht werden. ↩︎
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Ich maße mir nicht an, hier die Systemtheorie von Luhmann zu erklären. Aber stark verkürzt: Organisationen sind Systeme, die nicht auf Grund von Individuen, sondern auf Grund von Kommunikation entstehen. Noch stärker verkürzt kann daraus abgeleitet werden, dass nicht Personen, sondern Systeme verändert werden müssen. ↩︎
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Zu dem Thema Service Design für Bürgerservices habe ich ein interessantes Gespräch mit Karsten Krumm geführt. ↩︎
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Das UK.GOV ist ein partnerschaftliches Netzwerk der Verwaltungen im Vereinigten Königreich zur Digitalisierung der Verwaltung. Bei aller Häme über den Brexit, dieses Netzwerk ist eine echte Blaupause, die ich mir 1:1 auch in Deutschland wünschen würde. ↩︎
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Kudo-Karten sind eine Idee des Management 3.0 von Jurgen Apello. Mit Kudo-Karten kann auf einfache Weise Wertschätzung ausgedrückt werden. ↩︎