Wie agil sind OKRs?

Objectives & Key Results werden gerne als agile Methode, in einigen Fällen sogar als agiles Betriebssystem für Organisationen vermarktet. Aber stimmt das wirklich? Dazu stellte der Agile Coach Oliver “Boeffi” Boeff 1 vor kurzem eine spannende Frage auf Twitter:

Was zeichnet die Management-Methode Objectives & Key Results (OKR) als agile Management Methode aus? #FrageFürEinenFreund

Ich finde die Frage von “Boeffi” sehr interessant, weil es aus meiner Sicht zwei Antworten gibt.

Die einfache Antwort ist: Gar nichts!

Die etwas längere Antwort besagt, dass die Nutzung von OKRs in einer bestimmten Form, sehr wohl eine agile Organisation unterstützen kann.

OKR sind als reine Methode zunächst nicht agil

OKRs werden im deutschsprachigen Raum gerne als eine Art Scrum für Organisationen dargestellt. Sowohl der OKR-Zyklus, als auch die Events und die Rolle des OKR Masters ähneln den Elementen von Scrum. Und Scrum gilt wiederum als die agile Methode schlechthin.

Aus meiner Sicht führt diese optische Ähnlichkeit zu Scrum zu einer agilen Täuschung:

  • Nur, weil alle 12 Wochen Ziele erarbeitet werden, wird eine Organisation nicht selbstorganisiert und effektiver.
  • Nur, weil alle 12 Wochen ein Review gemacht wird, entsteht nicht zwangsläufig eine Lernkultur.
  • Nur, weil es alle 12 Wochen eine Retrospektive gibt, bedeutet es nicht, dass notwendige Veränderungen umgesetzt werden.
  • Nur weil es eine Liste aller 1200 Ziele im Unternehmen gibt, bedeutet es nicht, dass wirkliche Klarheit über die Unternehmensstrategie vorherrscht.

"Das Framework OKR kann in der Tat sowohl agil als auch tayloristisch im Sinne von Vorgabe und Kontrolle eingesetzt werden. Leider gilt das zum Teil auch für Scrum."

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Jetzt stellt sich die Frage, warum wird OKR als agile Methode bezeichnet oder was macht OKR überhaupt agil?

Mit diesen 4 Elementen fördern OKRs die agile Arbeit

Damit OKRs die agile Transformation unterstützen können, benötigen wir einen Rahmen, der agile Arbeit zulässt und unterstützt. Dieser Rahmen erfordert mehrere Elemente und einen Kontext, der agile Arbeit überhaupt erst möglich macht. Hier sind meine 4 Elemente für OKRs in agilen Organisationen.

Element 1: Menschen sind mehr als Prozesse und Werkzeuge

Wenn ich OKR-Tools ansehe, bekomme ich (manchmal) schlechte Laune. Die inspirierenden Ziele schrumpfen zusammen auf ein Dashboard mit Zahlen, Daten, Fakten (ZDF). Die Geschichte hinter den OKRs und die Intention der Notwendigkeiten gehen verloren, wenn nur noch ein Leitsatz (das Objective) und drei grüne Balkendiagramme für die Key-Results zu sehen sind. Der Melonenstatus lässt grüßen.

Aus meiner Sicht sollen OKRs, ähnlich wie die User Stories, die Kommunikation von Menschen unterstützen. Das gilt insbesondere auch für Führungskräfte. Wenn ich keine Geschichte und keinen Hintergrund zu den OKRs schildern kann, dann habe ich die OKRs nicht verstanden.

"Wenn ich als Führungskraft nicht die Geschichte hinter den OKRs erzählen kann, dann habe ich die OKRs nicht verstanden"

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Ein anderer Aspekt ist das Coaching. Gute OKRs entstehen aus guten Fragen. Diese Fragen und ihre Antworten benötigen Zeit, Raum und intensive Gespräche. Vielleicht sogar einen Spaziergang und etwas Sonne.

Einige der Fragen könnten sein:

  • Warum ist dir das Ziel so wichtig?
  • Was passiert, wenn wir diese Dinge konsequent sein lassen?
  • Was ändert sich beim Kunden, wenn das Ziel perfekt erreicht wurde?
  • Warum ist das OKR gerade jetzt wichtig?
  • Wie erkennst du, dass das Ziel erreicht ist?

OKRs sollen die Zusammenarbeit fördern und dürfen auch gerne den Finger in die Wunde legen. Insofern sind OKRs zunächst ein Tool zur Förderung der Kommunikation. Wie die Ergebnisse nachher visualisiert oder festgehalten werden, das ist vielleicht sogar zweitrangig.

Element 2: Nutzen für andere Menschen ist wichtiger als Planerfüllung

Für mich sind OKRs weniger eine Management-Methode, sondern vielmehr ein Werkzeug zur Förderung des kritischen Denkens. Die Grundlage dafür ist das Outcome-Based-Planning 2, das insbesondere im Produktmanagement als auch in der Organisationsentwicklung hilfreich ist.

Viele OKR-Sets, sind eine Liste von Handlungsfeldern, Projekten, Meilensteinen und Maßnahmen. Der kritische Punkt, der gerne ausgelassen wird, ist das Outcome: der messbare Nutzen für andere Menschen, idealerweise dem Kunden.

OKR-Sets ohne Outcome sind ein anderes Wort für Planung. Und Planung ist wiederum problematisch in allen Situationen, in denen die Lösung zu Beginn der Planung eben nicht offensichtlich ist. In komplexen Situationen bedeutet es, dass Aktivitäten (also Maßnahmen) zunächst Hypothesen sind, die bezogen auf ihr Outcome (Wirkung) immer validiert werden müssen.

Outcome-Based-Planning bedeutet, dass du dir Gedanken über das gewünschte Verhalten von Menschen machst, das für deine langfristigen Ziele nützlich ist:

"Die wichtigste Frage lautet: Wenn mein Ziel zu 100 % erreicht ist, welches Verhalten von welchen Menschen (idealerweise dem Kunden) ändert sich?"

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Mit Outcomes werden nicht Projekte oder Maßnahmen, sondern für das Business nützliche Problemstellungen geplant. Welche Projekte, Epics oder Stories sich dahinter verbergen, ist Sache der Teams und vielleicht sogar zunächst unbekannt.

Insofern eröffnen auch OKRs eine interessante Aufgabenteilung zwischen Management und Teams.

Das Sorgen (nicht die Definition) für Ziele bleibt Führungsaufgabe, die Planung der Outcomes ist eine Gemeinschaftsleistung zwischen Führung und Team, die Identifikation der geeigneten Epics, Stories und Tasks ist Aufgabe und Kompetenz der Teams.

Element 3: Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als Zielerreichung

Wenn Agilität als Kunst effektiver Arbeit auf zwei Wörter reduziert werden sollte, fallen mir sofort Inspect & Adapt ein. Der klassische OKR-Zyklus bietet mit seinen Events, wie Planung, Check-in, Reflection und Review3, bereits Haltepunkte, an denen dieses Inspect & Adapt etwas einfacher praktiziert werden kann.

An all diesen Punkten insbesondere beim Check-in können die typischen OKR-Fragen gestellt werden:

  • Frage 1: Wie ist Fortschritt und Zuversicht unserer Key-Results?
  • Frage 2: Was hindert uns eigentlich, unsere Ziele zu erreichen?
  • Frage 3: Welche TOP-3 Initiativen benötigen wir für unsere Key-Results?
  • Frage 4: Geht es unserem Tagesgeschäft gut?

Insbesondere die Frage 2 ist wichtig, denn sie ermöglicht die kritische Reflektion und die Suche nach Verbesserungen im Prozess.

Inspect & Adapt bedeutet auch, dass die Möglichkeiten zur Verbesserung einerseits gesucht, andererseits durch Führung und Organisation unterstützt werden.

Inspect & Adapt bedeutet aber auch, dass die gesetzten Ziele kritisch hinterfragt werden. Felipe Castro, der bekannte OKR-Coach sagte einmal, OKRs sind nicht in Stein gemeißelt 4.

"OKRs should be written in pencil, not in stone. (Felipe Castro)"

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Mein Tipp: Ich bin bei dem Thema Inspect & Adapt übrigens ein Freund des Ansatzes von Effectuation5.

Es geht nicht immer um die Führungsentscheidung oder gar um mehr Ressourcen. Viel hilfreicher kann es beispielsweise sein, innerhalb und außerhalb der Organisation nach Partnern zu suchen.

Element 4: Entscheidungen im Team sind mehr als Vorgabe und Kontrolle

OKRs können falsch eingesetzt, zu einem Top-Down-Werkzeug degenerieren. Eine Top-Down-Vorgabe von Zielen ist der beste Weg, dass das Instrument OKR scheitert. Solche Ziele sind nicht nur fremdbestimmt, sondern es besteht das große Risiko, dass sie inhaltlich eine schlechte Qualität haben.

Nachdem ich das geschrieben habe, sage ich aber auch, dass ich ein großer Freund von der Top-Down-Vorgabe von Intentionen bin. Eine Intention ist die Begründung einer Richtungsentscheidung durch Führung.

Golden Circle – Wikimedia Commons

Um das etwas vereinfacht an dem Golden Circle von Simon Sinek6 auszudrücken. Im Golden Circle gibt es die drei Ebenen Why, How, What:

  • Why: Warum ist etwas zu tun
  • How: Wie ist etwas zu tun
  • What: Was ist zu tun.

Das “Why” gehört für mich zur Intention. Warum ist die eingeschlagene Richtung jetzt gerade wichtig? Die Klärung des “Why” ist Führungsaufgabe.

Das “How” wäre etwas, was kollaborativ mit der Führung erarbeitet werden darf. Aber am Ende des Tages sollte das Team dezentral über das How entscheiden.

Das “What”, also die Maßnahmen gehören auch dem Team.

Übersetzt bedeutet es, dass die OKRs auf Teamebene entwickelt werden sollten, sich aber ganz klar an den übergeordneten Zielen und vor allen Dingen an der Intention der übergeordneten Ziele orientieren sollten.

Resümee

OKR als reine Methode ist aus meiner Sicht dem Thema Agilität gegenüber agnostisch. Ich kann OKR einführen und betreiben, ohne einen Funken an Selbstorganisation zu generieren. OKRs können aber Agilität auf Organisationsebene unterstützen, wenn agile Prinzipien der Selbstorganisation, Dezentralisierung und Wirkungsorientierung, von Anfang mitgedacht und umgesetzt werden 7.

Aber wie sieht es bei dir aus? Was ist deine Sicht zu OKR? Wo hast du gute Erfahrungen mit OKR im agilen Kontext gemacht? Wo bleibst du skeptisch?

Das würde mich sehr interessieren. Schreibe daher gerne einen Kommentar hier oder auf LinkedIn oder Twitter.


  1. Hier geht es zur Webpage von “Boeffi” und zum Twitter-Account von “Boeffi” ↩︎

  2. Zum Thema Outcome-Based-Planning empfehle ich dieses Buch von Josh Seiden. Es ist ein Meisterwerk: https://www.amazon.de/Outcomes-Over-Output-customer-behavior-ebook/dp/B07QJ1Y8Y5 ↩︎

  3. Zum Thema Check-in habe ich einen eigenen Artikel geschrieben: https://andreclaassen.de/post/okr/8-erfolgsfaktoren-fuer-den-perfekten-okr-check-in/ ↩︎

  4. Aus “How to use OKR during an Covid-19 Outbreak”: https://felipecastro.com/en/blog/okr-coronavirus/ ↩︎

  5. Meine Blogartikel und einen tollen Podcast zum Thema Effectuation findest du hier: https://andreclaassen.de/tags/effectuation/ ↩︎

  6. Immer wieder sehenswert, der Golden Circle von Simon Sinek als TED-Talk: https://www.ted.com/talks/simon_sinek_how_great_leaders_inspire_action ↩︎

  7. Für den sinnvollen Einsatz von OKR im agilen Kontext empfehle ich dieses Buch https://www.allankellyassociates.co.uk/books/succeeding-with-okrs-in-agile/ ↩︎

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